In diesem Beitrag erfahren Sie:

  • auf welcher Grundlage polnische Finanzbehörden und Gerichte davon ausgehen, dass eine feste Niederlassung gegründet wurde;
  • wie Steuerpflichtige von dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in Streitigkeiten mit den Finanzbehörden Gebrauch machen können;
  • ob eine enge Zusammenarbeit mit einem leistenden Unternehmer aus Polen zur Begründung einer festen Niederlassung für ein ausländisches Unternehmen führen kann.

Am 29. Juni 2023 erließ der Gerichtshof der Europäischen Union ein wichtiges Urteil für Steuerpflichtige. Er entschied, dass wenn eine Gesellschaft von einem verbundenen Unternehmen aus einem anderen Land umfassende Lohnveredelungsleistungen zusammen mit einer Reihe von Neben- oder Zusatzleistungen erwirbt, dies nicht zur Begründung einer festen Niederlassung in dem Land führt, in dem der Leistungsempfänger seinen Sitz hat.

 

Welche Bedeutung hat dieses Urteil für Unternehmen, die in Polen tätig sind? Es scheint, dass dadurch die polnischen Finanzbehörden nicht unbedingt und in jeder Situation die Zahlung der polnischen Mehrwertsteuer von Unternehmen verlangen sollten, die Lohnveredelungsleistungen an ein ausländisches verbundenes Unternehmen erbringen. Das Urteil des EuGH enthält auch andere wichtige Hinweise, die bei der Prüfung der Begründung einer festen Niederlassung berücksichtigt werden sollten.

 

Rechtssache Cabot Plastics (C-232/22) – wie wurde der Begriff Fixed Establishment von dem Gerichtshof ausgelegt?

Sachverhalt: wie kooperierten verbundene Unternehmen miteinander? 

Der Gerichtshof prüfte den Fall einer belgischen Gesellschaft (Cabot Plastics), die Lohnveredelungsleistungen an das schweizerische verbundene Unternehmen (Cabot Switzerland) erbrachte. Die von Cabot Plastics an Cabot Switzerland erbrachten sonstigen Leistungen machten nahezu ihren gesamten Umsatz aus. Erwähnenswert ist, dass Cabot Switzerland in Belgien für die Mehrwertsteuer registriert war.

Cabot Plastics verwendete ihre Anlagen zur Verarbeitung von Rohstoffen, jedoch nach Weisungen von Cabot Switzerland. Der zwischen ihnen abgeschlossene Vertrag sah nämlich vor, dass die Anlagen von Cabot Plastics ausschließlich für Cabot Switzerland genutzt werden. 

Darüber hinaus lagerte das belgische Unternehmen Rohstoffe und Fertigerzeugnisse auf seinem Betriebsgelände, von denen ein Teil nachher von Cabot Switzerland in Belgien verkauft wurde. Dort wurden die Produkte von den Kunden (oder den durch die schweizerische Gesellschaft beauftragten externen Spediteuren) abgeholt. Es ist von Bedeutung, dass einige der Käufer von Waren belgische Unternehmen waren. Cabot Plastics erbringt außerdem eine Reihe von Zusatzleistungen an Cabot Switzerland, wie Verwaltung von Produkten, die Abgabe von Empfehlungen zur Optimierung des Produktionsverfahrens, interne und externe technische Kontrollen und Bewertungen sowie die von anderen Produktionseinheiten benötigten Lieferungen oder sonstige Leistungen. 

 

Beginn des Steuerstreits um feste Niederlassung

Während der Betriebsprüfung vertrat die Finanzverwaltung die Auffassung, dass Cabot Switzerland in Belgien über eine feste Niederlassung verfüge, so dass im Sinne des Mehrwertsteuerrechts der Ort der erbrachten Produktionsleistungen Belgien sein solle. Die Finanzverwaltung erließ daher einen Bescheid, mit dem Cabot Plastics zur Zahlung zusätzlicher Mehrwertsteuer zuzüglich Verzugszinsen und einer angemessenen Geldbuße verpflichtet wurde.

Die belgischen Behörden vertraten den Standpunkt, dass die Leistungen von Cabot Plastics für eine feste Niederlassung erbracht worden seien, die Cabot Switzerland ihrer Ansicht nach in Belgien habe. 

Nach Ansicht der Behörden sind die Produktionsstätten, das Vertriebszentrum und die Lagerstätten, die Cabot Plastics gehörten, als Cabot Switzerland zur Verfügung gestellt anzusehen – und die Anlagen von Cabot Plastics selbst wurden nur für die schweizerische Gesellschaft und nach ihren Weisungen so verwendet, dass sie tatsächlich frei darüber verfügen konnte. Darüber hinaus argumentierten die belgischen Finanzbehörden, dass personelle Ausstattung der belgischen Gesellschaft von dem schweizerischen Unternehmen als seine eigene genutzt werden kann. Schließlich vertraten die Behörden auch die Auffassung, dass die von Cabot Plastics zur Verfügung gestellte Struktur es ermöglichte, die durch dieses Unternehmen erbrachten Leistungen entgegenzunehmen und zu nutzen.

 

EuGH-Urteil: Der Gerichtshof widersprach den Finanzbehörden und entschied, dass Cabot Switzerland über keine feste Niederlassung (FE) in Belgien verfügt.

Zu den wichtigen Feststellungen des Gerichtshofs gehören u.a. die folgenden:

  • FE wird nicht allein deshalb gegründet, weil der leistende Unternehmer und der Leistungsempfänger verbundene Unternehmen sind oder weil der leistende Unternehmer ausschließlich sonstige Leistungen erbringt und den überwiegenden Teil seiner Einnahmen aus dieser Zusammenarbeit erzielt.
  • Die Entstehung von FE wird nicht dadurch berührt, dass die mit Hilfe eines leistenden Unternehmers aus Belgien hergestellten Waren anschließend in demselben Land von einer schweizerischen Gesellschaft verkauft werden.
  • Der Umstand, dass der leistende Unternehmer auch umfassende Zusatzleistungen (wie Verwaltung von Produkten, die Abgabe von Empfehlungen zur Optimierung des Produktionsverfahrens, interne und externe technische Kontrollen und Bewertungen sowie die von anderen Produktionseinheiten benötigten Lieferungen oder sonstige Leistungen) erbringt, berührt nicht das Bestehen von FE.
  • Dieselbe technische und personelle Ausstattung, die sich in Belgien befindet und von den belgischen Finanzbehörden als FE angesehen wurde, kann nicht gleichzeitig sowohl für die Erbringung, als auch für die Entgegennahme von denselben sonstigen Leistungen verwendet werden.

Streitigkeiten über feste Niederlassung – FE – mit der Finanzverwaltung in Polen

Ähnliche Fälle waren bereits Gegenstand von Steuerstreiten in Polen. Die in diesen Verfahren getroffenen Entscheidungen fielen nicht immer zugunsten der Steuerzahler aus, und die Behörden und einige Gerichte gingen mehr profiskalisch vor als der EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache Cabot Plastics.

So prüfte beispielsweise das Woiwodschaftsverwaltungsgericht Gliwice in dem Urteil vom 28. April 2021 mit dem Az. I SA/GL 1706/20 den Fall eines deutschen Unternehmens, das plante, in enger Zusammenarbeit mit einem polnischen Unternehmen, an dem es 100 % der Anteile hält, einen Dienstleistungsvertrag abzuschließen. Nach der Ansicht des Woiwodschaftsverwaltungsgerichts habe das deutsche Unternehmen eine feste Niederlassung in Polen gegründet. 

Die Entscheidung des Gerichts wurde u.a. durch die Tatsache bestimmt, dass das deutsche Unternehmen 100 % der Anteile an dem polnischen Subunternehmer hielt. Das Woiwodschaftsverwaltungsgericht Gliwice verwies auch darauf, dass deutsches Unternehmen dem Subunternehmer Weisungen erteilen kann und seine Handlungen der Zustimmung und Kontrolle der Klägerin unterliegen. Nach Auffassung des Gerichts stellt der Umstand, dass dieselben Ressourcen in Polen sowohl für die Erbringung als auch für die Entgegennahme von sonstigen Leistungen verwendet werden, kein Hindernis für die Gründung von FE dar. 

Eine ähnliche Position wurde in dem Steuervorbescheid vom 10. August 2020 mit dem Az. 0114-KDIP1-2.4012.185.2020.2.JŻ vertreten. Der Leiter der Landesfinanzauskunft (KIS) erklärte darin, dass eine niederländische Gesellschaft, für die Lohnveredelungsleistungen von einem polnischen verbundenen Unternehmen erbracht werden, ein FE in Polen habe. Das Argument für das Bestehen von FE war u.a., dass die Produktion von Waren ausschließlich in Polen stattfand und die Zusammenarbeit auf unbestimmte Zeit geplant war. Darüber hinaus wies das Gericht darauf hin, dass die von dem polnischen Unternehmen erbrachten Lohnveredelungsleistungen den Weisungen des niederländischen Unternehmens entsprechen müssen und dass die Entscheidungen, die im Ansässigkeitsstaat (den Niederlanden) getroffen werden, tatsächlich die in Polen ausgeübten Tätigkeiten im Bereich der Verarbeitung von Waren und deren Vertrieb betreffen.

Das Woiwodschaftsverwaltungsgericht Warszawa beurteilte den oben genannten Fall jedoch anders und mit seinem Urteil vom 16. Juni 2021 mit dem Az. III SA/Wa 2073/20 hob er den Steuervorbescheid auf und stellte fest, dass das niederländische Unternehmen kein FE in Polen habe. Das Gericht betonte, dass die Ausführung von Gegenständen auf der Grundlage der Spezifikationen des Auftraggebers nicht dafür sprechen könne, dass man irgendwelche Kontrolle über den leistenden Unternehmer und seine Ressourcen habe. Nach Auffassung des Woiwodschaftsverwaltungsgerichts sei die Schlussfolgerung, dass eine Kontrolle über personelle und technische Ausstattung des Unternehmens allein aufgrund der Tatsache der Aufnahme der Zusammenarbeit und der Herstellung von Waren nach den Weisungen des Auftraggebers besteht, unlogisch und finde keine Widerspiegelung in der Rechtsprechung. 

Ein ähnlicher Fall wurde vom Woiwodschaftsverwaltungsgericht Olsztyn mit dem Urteil vom 14. Dezember 2022 mit dem Az. I SA/Ol 472/22 entschieden. Der Rechtsstreit betraf einen Steuerpflichtigen, der sonstige Leistungen an ein ausländisches verbundenes Unternehmen erbrachte. Das Gericht bestätigte, dass das ausländische Unternehmen ein FE in Polen habe, u.a. aufgrund einer sehr breiten Palette von Dienstleistungen, die er bei der mit ihm verbundenen Gesellschaft erwarb, des festen und langfristigen Charakters des Vertrags und der Nutzung der technischen und personellen Ausstattung der verbundenen Gesellschaft. Das Gericht wies außerdem darauf hin, dass die in unserem Land erworbenen sonstigen Leistungen nicht durch ein hohes Maß an Komplexität und Arbeitsintensität gekennzeichnet werden müssen – es kann sich sogar um einfache Tätigkeiten handeln, die für das Funktionieren eines ausländischen Unternehmens von entscheidender Bedeutung sind.

Daher lässt die FE-Thematik immer noch viele Zweifel offen und bedeutet oft, dass Steuerpflichtige ihre Rechte vor Verwaltungsgerichten geltend machen müssen. Wie sich herausstellt – mit unterschiedlichen Ergebnissen. Jeder Fall erfordert eine gründliche, individuelle Analyse. Das neue Urteil des EuGH kann sich jedoch als ein wertvoller Tipp für Steuerpflichtige und ein starkes Argument in einem Streitfall mit der Finanzverwaltung erweisen.