In diesem Beitrag erfahren Sie:
- Wie sollen Steuerverfahren gefuehrt werden?
- Was ist der Grundsatz der Verfahrensfuehrung in einer Weise, die Vertrauen in Finanzbehörden schafft?
- Was ist bei der Fuehrung eines Rechtsstreits mit den polnischen Finanzbehörden zu beachten?
Rafał PAZDYK
Junior Tax Consultant bei RSM Poland
Das alte Sprichwort besagt, dass „der Hochmut vor dem Fall kommt“. Davon ueberzeugten sich die lokalen Verwaltungsbehörden, die mit ihrem autoritaeren Handeln dem Steuerpflichtigen erschwerten, eine Investition durchzufuehren. Zudem forderten sie dann die Steuer auf Gebaeude, die der Investor noch nicht abgerissen hat. Das Woiwodschaftsverwaltungsgericht war mit einer solchen Vorgehensweise jedoch nicht einverstanden. Er wies auf viele Fehler der Finanzverwaltung hin und stellte sich auf die Seite des Steuerpflichtigen.
Zweifel an der Immobiliensteuer
Der Fall begann vor einigen Jahren. Der Unternehmer besaß ein bebautes landwirtschaftliches Grundstueck, auf dem er Wohnungen bauen wollte. Die Gebaeude waren in einem baulich schlechten Zustand, so dass der Investor zunaechst mit dem Abriss begann. Bald darauf beschloss die Gemeinde jedoch, eine Straße zu bauen, die durch die Grundstuecke des Unternehmers fuehren sollte. Dies bedeutete, dass der Investor den Abriss stoppen musste. Um die Verluste zu decken, begann er, seinen Anspruch auf den Schadensersatz fuer seine Rechte an den Grundstuecken geltend zu machen. Seine Höhe wurde erst nach 7 Jahren festgelegt.
Waehrend des Kampfes um Schadensersatz begann der Unternehmer Zweifel an der Immobiliensteuer zu haben und er beantragte die Erteilung eines Steuervorbescheids bei der Finanzbehörde der ersten Instanz – dem Buergermeister.
Der Steuerpflichtige fragte, wie er seine Immobiliensteuererklaerungen fuer die Jahre 2014-2019 korrigieren könne. Er ueberlegte, ob er davon ausgehen sollte, dass Immobilien nicht besteuert werden, weil sie nicht der Definition eines Gebaeudes entsprechen, oder ob sie als Gebaeude fuer landwirtschaftliche Taetigkeit von der Steuer befreit sind. Dieses Schriftstueck veranlasste die Verwaltung zu einem völlig unerwarteten Manöver – naemlich sie leitete gegen den Unternehmer ein Steuerverfahren im Bereich der Immobiliensteuer fuer die Jahre 2014-2018 ein.
Der Buergermeister erließ einen Steuerbescheid, gegen die der Steuerpflichtige Einspruch beim Berufungskollegium der Selbstverwaltung (SKO) einlegte. Die Berufungsinstanz bestaetigte den Bescheid des Buergermeisters, reduzierte jedoch die Höhe der Steuer und erklaerte, dass die Behörden aufgrund der begonnenen und ausgesetzten Abrissarbeiten nicht in der Lage seien, die Nutzflaeche des Gebaeudes zu bestimmen.
Der Investor legte die Beschwerde gegen diesen Bescheid an das Verwaltungsgericht ein, das keinen trockenen Faden an den Finanzbehörden ließ und endgueltig deren Entscheidungen aufhob.
Welche Fehler hat die polnische Finanzverwaltung begangen?
Zuerst wies das Gericht auf eine Schluesselfrage hin – den von dem Steuerpflichtigen gestellten Antrag auf Erteilung des Steuervorbescheids.
Der Unternehmer stellte am 30. Mai 2019 einen Antrag auf Erteilung des Steuervorbescheids, und die Entscheidung ueber die Einleitung eines Steuerverfahrens in dem Fall, auf den sich der Antrag bezieht, wurde ihm am 3. September 2019 zugestellt. Die Vorschriften ueber Erteilung der Steuervorbescheide sehen vor, dass die Behörde 3 Monate Zeit hat, um ueber den Fall zu entscheiden. Haelt die Verwaltung diese Frist nicht ein, dann nimmt man an, dass ein stillschweigender Steuervorbescheid erteilt wurde – d. h. die Stellungnahme des Antragstellers im Ganzen bestaetigt wird.
Eine individuelle Auslegung hat eine besondere Schutzkraft – die Beachtung ihres Inhalts darf dem Antragsteller nicht schaden (auch wenn sie bei der endgueltigen Beilegung des Steuerfalls nicht beruecksichtigt wird). In dem Fall, den wir diskutierten, hatte der Steuerpflichtige einen Steuervorbescheid, in dem (durch Schweigen) bestaetigt wurde, dass er keine Immobiliensteuer zahlen muss.
Daher war das Vorgehen der Finanzbehörden unbegruendet, aber dennoch machten sie weiter.
Rechtsvorschriften gelten auch fuer die Verwaltung
Das Gericht wies auf die Handlungen der lokalen Behörden hin, die die Investition und den Abriss behinderten, was sich auf die Rechtslage des Unternehmers auswirkte. Einer der Beweise fuer die mangelnde Bereitschaft, die Sache schnell und guetlich beizulegen, war der 7-jaehrige Prozess zur Festlegung des Schadensersatzes. Der Spruchkörper wies darauf hin, dass solche Handlungen umso erstaunlicher sind, als der Neubau der Kommune viel höhere Einnahmen in den Haushalt bringen wuerde. Die Immobiliensteuergelder wuerden den Betrag uebersteigen, den die Behörden im Rahmen des nachtraeglich eingeleiteten Verfahrens geltend machten.
Das Gericht beurteilte auch kritisch die Tatsache, dass die Behörden das Verfahren eingeleitet hatten, als ihnen bekannt war, dass es aufgrund der Abbrucharbeiten und Straßeninvestitionen der Gemeinde nicht möglich war, die Nutzflaeche der Gebaeude erfolgreich zu berechnen. Und doch ist es bei der Immobiliensteuer gerade die Flaeche, die die Bemessungsgrundlage bestimmt. Da sie nicht festgestellt werden konnte, war es auch nicht möglich, die Immobilie zu besteuern. In diesem Zusammenhang stellte das Gericht eine Verletzung der verfassungsmaeßigen Rechte sowie der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten.
Gleichzeitig stellte das Gericht fest, dass die Finanzverwaltung bei der Fuehrung dieser Sache den Anforderungen vieler Steuerverfahrensregeln nicht genuegt habe.
Die Behörden haben nicht alle notwendigen Maßnahmen ergriffen, um den Sachverhalt gruendlich zu klaeren und die Sache beizulegen. Darueber hinaus habe die Finanzverwaltung die Beweise nicht erhoben und nicht erschöpfend geprueft. Das Gericht hatte auch Zweifel daran, ob die Umstaende dieses Verfahrens ordnungsgemaeß nachgewiesen worden waren. Der Mangel an Sorgfalt ist u.a. dadurch belegt, dass die Behörden die Beweisantraege aus der Vernehmung von Zeugen – einschließlich Vernehmung des Bau- und Abbruchleiters – nicht beruecksichtigt haben.
Die Bestimmungen der Abgabenordnung verpflichten die Finanzverwaltung, die von den Parteien erhobenen Ansprueche auf Beweisaufnahme zu beruecksichtigen, wenn es sich bei den Beweismitteln um Umstaende handelt, die fuer den Fall relevant sind und sie nicht durch andere Beweise bestaetigt wurden.
Die Erklaerung ueber die Flaeche von Gebaeuden – die zudem grundsaetzlich hinfaellig geworden ist – konnte nicht der einzige Beweis fuer die Unrichtigkeit der Stellungnahme des Steuerpflichtigen sein.
Finanzbehörden muessen so handeln, dass sie unser Vertrauen wecken
Ganz zum Schluss wies das Gericht darauf hin – und ich halte diesen Aspekt des Urteils fuer aeußerst interessant und entscheidend – dass die Finanzverwaltung den Grundsatz der Fuehrung des Verfahrens in einer Weise, die Vertrauen in die Finanzbehörden schafft, nicht eingehalten hatte.
Dieser Grundsatz verlangt von den Behörden, so zu handeln, dass der Steuerpflichtige davon ueberzeugt ist, dass das Verfahren in seinem Fall in uebereinstimmung mit den sich aus den Rechtsvorschriften ergebenden Grundsaetzen durchgefuehrt wird, und die Finanzverwaltung respektiert die Rechte der Verfahrensbeteiligten, erfuellt ihre Verpflichtungen und strebt einen reibungslosen und erfolgreichen Abschluss des Falles an. Es ist am besten, diesen Aspekt zu erklaeren, indem die Gerichtsentscheidung aufgefuehrt wird:
„Als ein solches [d.h. in einer Weise gefuehrtes, die Vertrauen in die Finanzbehörden schafft – Anmerkung der Autorin] darf nicht dasjenige Verfahren angesehen werden, das Teil von Vergeltung gegen den Steuerpflichtigen wird. So ist die Vorgehensweise der erstinstanzlichen Finanzbehörde, das von der SKO akzeptiert wurde, zu beurteilen. Obwohl das Verfahren selbst vor Ablauf der Verjaehrungsfrist eingeleitet wurde, sollte diese Behörde unter den Umstaenden des vorliegenden Falles unter Beruecksichtigung des Wortlauts von Art. 123 § 1 AO, der den Grundsatz der Schnelligkeit des Verfahrens regelt, das Steuerverfahren schnell genug einleiten, um es zuverlaessig fuehren zu können. Es ist inakzeptabel, die Illusion zu schaffen, dass es gefuehrt wird. Die Finanzbehörden beider Instanzen vergessen, dass die Autoritaet des Staates selbst und seiner Behörden von der rechtlichen Qualitaet ihres Handelns abhaengt. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes gilt als eine Schnalle, die die gesamten allgemeinen Verhaltensregeln zusammenhaelt.“*
* Urteil des Woiwodschaftsverwaltungsgerichts Wrocław vom 20.06.2022, I SA/Wr 723/20.
Der Spruchkörper kam zu dem Schluss, dass das Verhalten der Behörden gegen das Verfassungsgebot der Achtung und des Schutzes der Menschenwuerde verstoßen hatte. Aus dieser Vorschrift leitet sich das Recht auf ein faires Verfahren ab – die Fuehrung eines Verfahrens in einer Weise, die einen Buerger zur Verzweiflung fuehrt, ist jedoch sicherlich kein Ausdruck der Achtung seiner Wuerde.
Infolgedessen konnte das Gericht nicht anders handeln – es musste die Entscheidungen der Behörden aufheben.
Es lohnt sich, mit den Finanzbehörden fuer eigene Rechte zu kaempfen
Nach der Analyse dieses Falles können wir einige wichtige Schlussfolgerungen ziehen, die uns bei Rechtsstreiten mit den Finanzbehörden helfen werden.
Zunaechst erinnern wir uns daran, wie wichtig ein Steuervorbescheid ist. Das Beachten des Wortlauts des Steuervorbescheids – unabhaengig davon, ob die Behörde mit der Beurteilung der Rechtsfolgen durch den Steuerpflichtigen einverstanden ist oder nicht – verleiht uns eine besondere Schutzkraft. In der Rechtsprechung weisen Verwaltungsgerichte darauf hin, dass der Ausdruck "darf nicht schaden" bedeutet, dass in Bezug auf einen Steuerpflichtigen, der einen Steuervorbescheid vor dessen aenderung beachtet hat, die strafrechtliche Verantwortlichkeit und die Berechnung der Zinsen ausgeschlossen sind. Manchmal wird man auch von der Pflicht befreit, die Steuer zu zahlen.
Darueber hinaus muessen wir die Art und Weise, wie Finanzbehörden Verfahren fuehren, kritisch analysieren und beurteilen. Die Abgabenordnung enthaelt Vorschriften ueber die Art und Weise der Verfahrensfuehrung sowie bestimmte ethische Modelle. In Bezug auf die Verfahrensregeln geht es unter anderem darum, die zuverlaessige Methode der Erhebung, Bewertung oder Zulassung von Beweismitteln im Verfahren zu ueberpruefen – es lohnt sich also, darauf zu achten, ob die Behörden alle notwendigen Maßnahmen ergriffen haben, um den Sachverhalt zu klaeren und den Fall beizulegen. Wird eine aktive Beteiligung der Parteien am Verfahren durch die Taetigkeiten der Finanzverwaltung sichergestellt? Handeln die Behörden schnell und verstaendlich?
Schließlich sollten wir auch darauf achten, ob das Handeln des Finanzamtes Vertrauen und die ueberzeugung in uns weckt, dass das Verfahren den Vorschriften entspricht. Wie aus dem Beispiel des analysierten Falles hervorgeht, können die Behörden – die nicht nur versuchen, die Steuer zu erheben, sondern auch andere Ziele zu erreichen (in dem analysierten Fall, der direkt vom Gericht als "Vergeltung" definiert wird) – manchmal grundlegende Buergerrechte verletzen.
Der Fall, den wir diskutieren, hat zwar dem Steuerpflichtigen viele Sorgen bereitet, aber gluecklich zu Ende gegangen und macht uns letztlich klar, dass wir mit den Finanzbehörden fuer unsere Rechte kaempfen muessen. Gerichte stellen sich haeufig auf die Seite der Steuerpflichtigen und sind in der Lage, ueber eine formelle Pruefung des Verfahrensablaufs hinauszugehen, um dessen breiteren Aspekt zu beruecksichtigen. Es ist zu beachten, dass die allgemeinen Regeln des Steuerverfahrens – wie der Grundsatz des Vertrauensschutzes – selbst die Grundlage fuer die Aufhebung der Entscheidung der Behörden bilden können.
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